Wie sie funktioniert und was sie leistet
Berlin, 31.10.2023 - Die Krankheitsbilder bei Seltenen Erkrankungen sind meist komplex und benötigen eine spezialisierte Versorgung. Die ambulante spezialfachärztliche Versorgung (ASV) unterstützt bei der Therapie einiger Seltener Erkrankungen. Lesen Sie hier, was die ASV ausmacht und wie Sie als Arzt oder Ärztin Patienten vermitteln können.
Hausärzte und Hausärztinnen sowie Kinderärzte und Kinderärztinnen haben eine Schlüsselrolle bei Seltenen Erkrankungen inne. Neben der Primärversorgung gehört auch die Koordination der fachärztlichen Versorgung zu ihren Aufgaben. Eine gute Kooperation mit Fachärzten, Fachärztinnen und Zentren für Seltene Erkrankungen ist essenziell für die Versorgung von Seltenen Erkrankungen. Für einige wenige Seltene Erkrankungen ist auch eine ambulante spezialfachärztliche Versorgung (ASV) möglich.
Was ist die ambulante spezialfachärztliche Versorgung?
Die ambulante spezialfachärztliche Versorgung (ASV) ist ein Versorgungskonzept für Patienten und Patientinnen mit komplexen, schwer therapierbaren oder Seltenen Erkrankungen. Dieses Konzept wurde im April 2014 auf Grundlage des Paragraf 116 b SGB V eingeführt, um die Versorgung der genannten Patientengruppen zu verbessern. In der ASV können niedergelassene Facharztpraxen mit einem nahegelegenen Krankenhaus zusammenarbeiten. Die Kosten dafür werden von den gesetzlichen Krankenversicherungen übernommen.
Welche Patienten und Patientinnen können an einer ASV teilnehmen?
Laut Gesetz soll die ASV Patienten und Patientinnen mit Seltenen Erkrankungen, besonderen Krankheitsverläufen sowie mit einem Bedarf an hochspezialisierten Leistungen zur Verfügung stehen. Bisher kann die ASV für folgende Seltene Erkrankungen angeboten werden (Stand August 2023):
• Chronisch entzündliche Darmerkrankungen
• Neuromuskuläre Erkrankungen
• Sarkoidose
• Hämophilie
• Ausgewählte seltene Lebererkrankungen
• Morbus Wilson
• Mukoviszidose
• Pulmonale Hypertonie
• Marfan-Syndrom
• Tuberkulose
Weitere erkrankungsspezifische ASV-Anforderungen werden vom Gemeinsamen Bundesausschuss schrittweise erarbeitet.
Welche Aufgaben übernimmt die ASV?
In den Richtlinien über die ambulante spezialfachärztliche Versorgung (ASV-RL) ist festgelegt, welche Anforderungen ein ASV-Team erfüllen muss. Dabei muss das ASV-Team nicht alle Ressourcen und Kompetenzen selbst vorhalten. Es ist ausreichend, wenn das Geforderte in kooperierenden Einrichtungen vorhanden ist.
Die konkreten Aufgaben der ASV richten sich nach der jeweiligen Erkrankung. Eine vollständige Übersicht ist in den Richtlinien enthalten. Beispielhafte Aufgaben sind:
• Anamnese und körperliche Untersuchungen
• Funktionsdiagnostik und bildgebende Diagnostik
• Histologische und zytologische Untersuchungen
• Laboruntersuchungen
• Notfallversorgung
• Behandlung von Therapienebenwirkungen, Komplikationen und unerwünschten Behandlungsfolgen
• Behandlungsplan, -durchführung und -kontrolle
• Einleitung einer Rehabilitation
• Medikamentöse Therapien
• Physikalische Therapie
Das ASV-Team informiert darüber hinaus über Angebote, die für den Alltag mit der Erkrankung hilfreich sein können, wie beispielsweise Hilfsmittel, Selbsthilfegruppen oder soziale Dienste. Zur Qualitätssicherung muss ein ASV-Team eine durchschnittliche Mindestmenge an Behandlungen vorweisen.
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Team
Das ASV-Team besteht aus einem Kernteam aus Fachärzten und Fachärztinnen sowie hinzuzuziehenden Fachärzten und Fachärztinnen. Die fachärztliche Teamleitung fungiert dabei als erste Kontaktstelle für Patienten und Patientinnen und koordiniert die Zusammenarbeit des ASV-Teams sowie die Therapie.
Die Mitglieder des Kernteams sollen bei Bedarf an mindestens einem Tag in der Woche eine Sprechstunde in der Praxis der Teamleitung anbieten. Sofern medizinisch erforderlich, können vom Kernteam auch weitere Fachärzte und Fachärztinnen sowie Psychotherapeuten und Psychotherapeutinnen hinzugezogen werden. Diese sollten möglichst in der Nähe der Praxis der Teamleitung praktizieren.
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Behandlungsstätten
Die Behandlung der Patienten und Patientinnen erfolgt in den Räumlichkeiten der teilnehmenden Praxen, medizinischen Versorgungszentren oder Krankenhäusern. Die Teammitglieder müssen nicht innerhalb einer Institution tätig sein, sondern können an unterschiedlichen Orten praktizieren. Die Behandlungsstätten sollten jedoch in angemessener Nähe zur Teamleitung liegen, damit die Wege für Patienten und Patientinnen möglichst kurz sind.
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Zuständigkeiten
Das ASV-Team behandelt nur Patienten und Patientinnen entsprechend der Spezialisierung im Team. Therapiert werden auch Beschwerden, die einen direkten Zusammenhang mit der Behandlung aufweisen, wie beispielsweise Nebenwirkungen oder Komplikationen. Eine darüberhinausgehende medizinische Versorgung erfolgt in den gewohnten Strukturen außerhalb der ASV.
In der Regel praktizieren an der ASV beteiligte Ärzte und Ärztinnen auch weiterhin in der Praxis oder Klinik.
Wo findet man ein passendes ASV-Angebot in der Nähe?
Die ASV-Servicestelle informiert über das Angebot und die Anforderungen der ASV. Sie wird gemeinsam durch den GKV-Spitzenverband, die Kassenärztliche Bundesvereinigung sowie die Deutschen Krankenhausgesellschaft betrieben. Ärzte und Ärztinnen können im ASV-Verzeichnis nach einem passenden Angebot für ihre Patienten und Patientinnen in der Nähe suchen.
Wie vermittle ich meinen Patienten, meine Patientin an die ASV?
Patienten und Patientinnen können direkt an die ASV überwiesen werden. Die Überweisung kann je nach Erkrankung für ein oder für mehrere Quartale ausgestellt werden, sofern eine gesicherte Diagnose vorliegt. Bei Seltenen Erkrankungen ist eine Verdachtsdiagnose ausreichend. Ist der behandelnde Arzt, die Ärztin selbst ein Teil des ASV-Teams, wird keine Überweisung benötigt. Auch am Ende eines stationären Aufenthaltes kann eine ASV veranlasst werden. Dabei wird keine Überweisung benötigt, wenn sich die Weiterbehandlung durch ein ASV-Team einer Klinik direkt an den stationären Aufenthalt anschließt.
Wie läuft die ASV ab?
Patienten und Patientinnen treten mit einem in Frage kommenden ASV-Team in Kontakt und vereinbaren ggf. einen ersten Termin. Anschließend werden sie in die Entscheidungsfindung zu den diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen mit eingebunden. Solange das Krankheitsbild den Kriterien des G-BA entspricht, können Patienten und Patientinnen in der ASV behandelt werden. Bei Seltenen Erkrankungen ist dies in der Regel dauerhaft der Fall. Das Verlassen der ASV auf eigenen Wunsch ist jederzeit möglich.
Nach Behandlungsabschluss erhalten Patienten und Patientinnen eine schriftliche Information über die Ergebnisse und das weitere Vorgehen. Die weiterbehandelnden Ärzte und Ärztinnen erhalten gemäß dem Überleitungsmanagement einen patientenverständlichen Überleitungsbrief. Dieser beinhaltet neben Angaben zur Diagnose auch weitere Therapievorschläge inklusive medikamentöser und weiterer Therapiemaßnahmen.
ASV für Patienten erklärt
Sie möchten Ihre Patienten und Patientinnen über die ASV informieren?
Der G-BA bietet eine „Patienteninformation zur Ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung “ an (Stand 10.10.2022).
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Wie kann ich selbst Teil eines ASV-Teams werden?
Die notwendigen Qualifikationen als ASV-Mitglied hängen von der jeweiligen Erkrankung ab und werden durch die entsprechende Anlage der ASV-Richtlinie geregelt. (16) Alle Teammitglieder müssen einen Nachweis erbringen, aus dem eine ausreichende Erfahrung für die Behandlung der Erkrankung hervorgeht. Hierfür ist eine bestimmte bisherige Fallzahl an Behandlungen des entsprechenden Erkrankungsbildes nachzuweisen. (12) Auch regelmäßige spezifische Fortbildungen und die Teilnahme an interdisziplinären Fallbesprechungen sind verpflichtend (14).
Anschließend muss die Teilnahme an der ASV beim erweiterten Landesausschuss angezeigt werden. Dieser prüft innerhalb von zwei Monaten, ob die Zugangsvoraussetzungen bei den Ärzten und Ärztinnen erfüllt sind, und erteilt eine Zustimmung bzw. Ablehnung. Die Antragsverfahren können sich regional unterscheiden.
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Wie lässt sich ein ASV-Team gründen?
Um ein ASV-Team zu gründen, muss sich zunächst ein Kernteam aus qualifizierten Fachärzten und Fachärztinnen bilden. Alle Teammitglieder müssen eine Qualifikation entsprechend der ASV-Richtlinie vorweisen und beim erweiterten Landesausschuss gemeldet sein.
Sobald eine ASV-Berechtigung vorliegt, informiert die Teamleitung die ASV-Servicestelle. Zudem müssen noch weitere Angaben erfolgen, wie etwa das Institutionskennzeichen. Das ASV-Team erhält dann eine ASV-Teamnummer, die für Abrechnungen, Überweisungen und Verordnungen benötigt wird. Durch die Angabe des Institutionskennzeichens wird auch der Vertrag für die Abrechnung geschlossen. Dies erfolgt entweder über die jeweilige kassenärztliche Vereinigung oder mit der Krankenkasse der Patienten und Patientinnen. Sobald die ASV-Berechtigung vorliegt, kann mit der Behandlung begonnen werden.
Bei Krankheit oder Urlaub können sich die Teammitglieder von einem Arzt bzw. einer Ärztin vertreten lassen, solange diese die gleichen ASV-Anforderungen erfüllen. Dauert die Vertretung länger als eine Woche, muss dies der ASV-Servicestelle und dem erweiterten Landesausschuss mitgeteilt werden.
Alle relevanten Informationen zur ASV und zu den entsprechenden Anforderungen finden Fachärzte und Fachärztinnen bei der ASV-Servicestelle, bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung oder auch bei den Kassenärztlichen Vereinigungen der Bundesländer wie beispielsweise der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin.
Diese Information wurde erstellt von: Dr. Pia Gamradt, Johanna Lindner, Jochen Randig, Lisa-Marie Ströhlein (alle Stiftung Gesundheitswissen).
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Quellen
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ASV Servicestelle. Die ambulante spezialfachärztliche Versorgung; ohne Datum [Stand: 17.10.2022]. Verfügbar unter: https://www.asv-servicestelle.de/.
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Aktualität der Informationen
Dieser Text wurde ursprünglich am 31. Oktober 2023 erstellt und wird in regelmäßigen Abständen aktualisiert. Nächste geplante Aktualisierung: Oktober 2028.
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