Berlin, aktualisiert am 10. Januar 2024 – Jeder kennt große Volkskrankheiten wie Diabetes, Grippe oder Rückenschmerzen. Erkrankungen wie Mukoviszidose, Lungenhochdruck und Akromegalie sind dagegen weniger geläufig, weil nur wenige Menschen davon betroffen sind. Sie gehören zu den Seltenen Erkrankungen. Auf dieser Seite lesen Sie, was eine Seltene Erkrankung ausmacht und welche Herausforderungen sich für Betroffene, Ärzte und Ärztinnen ergeben.
Wann spricht man von einer Seltenen Krankheit?
Es gibt keine weltweit einheitliche Definition für Seltene Erkrankungen. In der Europäischen Union und in Deutschland gelten Krankheiten als selten, wenn nicht mehr als fünf von 10.000 Menschen davon betroffen sind. Außerdem muss die Erkrankung lebensbedrohlich sein und chronisch verlaufen – es handelt sich also um eine bleibende Erkrankung, die nicht vollständig ausheilt. Wenn die Erkrankung nicht mehr als einen von 50.000 Menschen betrifft, gilt sie in Deutschland sogar als sehr selten.
Viele der Seltenen Erkrankungen kommen jedoch noch deutlich vereinzelter vor. Eine Datenbank-Analyse zeigt, dass 85 Prozent der Seltenen Erkrankungen weniger als einen von einer Million Menschen betreffen.
Was sind Seltene Erkrankungen? | Stiftung Gesundheitswissen
Mit dem Begriff Seltene Erkrankungen wird eine Vielzahl unterschiedlichster Krankheiten zusammengefasst. Was sie verbindet? Ihre Seltenheit! In der Europäischen Union gilt eine Erkrankung als selten, wenn nicht mehr als 5 von 10.000 Menschen an ihr erkrankt sind. Ist höchstens eine von 50.000 Personen betroffen, spricht man von Sehr Seltenen Erkrankungen. In beiden Fällen gibt es also verhältnismäßig wenig Erkrankte. Nimmt man aber alle Menschen mit Seltenen Erkrankungen in Deutschland zusammen, so sind das mehr Menschen, als in Berlin wohnen: rund vier Millionen!
Die meisten Seltenen Erkrankungen sind nicht heilbar. Oft treten sie bereits im Kindesalter oder in der Jugend auf. Über die meisten ist auch noch wenig bekannt. Daher dauert es oft lange, bis sie diagnostiziert werden.
Mehr zu Anlaufstellen und Unterstützungsmöglichkeiten finden Sie auf dem zentralen Informationsportal über seltene Erkrankungen.
Wissen ist gesund.
Wie häufig treten Seltene Erkrankungen auf?
Jede einzelne Seltene Erkrankung für sich genommen betrifft nur wenige Menschen. Wenn man alle Seltenen Erkrankungen zusammenfasst, ist allerdings eine große Gruppe von Menschen davon betroffen. Von allen bekannten Erkrankungen ist etwa jede vierte selten.
Laut Bundesministerium für Gesundheit leben in Deutschland schätzungsweise vier Millionen Menschen mit einer Seltenen Erkrankung. Wenn diese Menschen zusammen in einer Stadt leben würden, hätte diese mehr Einwohner als Berlin. Weltweit wird von 117 bis 484 Millionen erkrankten Menschen ausgegangen.
Krankheiten können in verschiedenen Ländern unterschiedlich häufig auftreten: Eine Erkrankung kann in einem Teil der Welt als selten gelten, während sie anderswo verbreiteter ist. Der Großteil der Menschen mit Seltenen Erkrankungen verteilt sich auf wenige Diagnosen. Das bedeutet umgekehrt, dass es viele Erkrankungen gibt, die jeweils nur ganz wenige Menschen auf der Welt betreffen.
Was ist ein Syndrom?
Viele Seltene Erkrankungen sind Syndrome. Ein Syndrom beschreibt eine Kombination von verschiedenen Krankheitssymptomen, die üblicherweise gleichzeitig und gemeinsam auftreten. Dabei lassen sich die Symptome oft nicht auf eine konkrete Ursache zurückführen. Ein bekanntes Beispiel für ein Syndrom ist Demenz: Diese Erkrankung macht sich oft durch Vergesslichkeit und abnehmendes Denk- und Orientierungsvermögen bemerkbar. Meist ist aber nicht klar, was diese Beschwerden genau verursacht hat.
Wie viele Seltene Krankheiten gibt es?
Da keine international einheitliche Definition für Seltene Erkrankungen vorliegt, lässt sich ihre Gesamtzahl nur schwer schätzen. Mehrere Datenbanken dokumentieren zwischen 6.000 und 10.000 verschiedene Seltene Erkrankungen.
Experten und Expertinnen gehen davon aus, dass sich die Anzahl der Seltenen Erkrankungen weiter erhöhen wird. Hierfür gibt es mehrere Gründe. Der medizinische Fortschritt in Forschung, Diagnose und Behandlung führt dazu, dass die Wissenschaft neue Seltene Erkrankungen entdeckt. Durch modernere Untersuchungsmethoden erhalten mehr Menschen mit bisher ungeklärten Beschwerden eine Diagnose und können so in den Datenbanken erfasst werden. Gleichzeitig wächst die Weltbevölkerung und damit auch die Zahl der Menschen, die Seltene Erkrankungen entwickeln.
Welche Ursachen haben Seltene Erkrankungen?
Über 70 Prozent der Seltenen Erkrankungen haben eine genetische Ursache. Daneben kommen Einzelfälle von Infektionskrankheiten, Autoimmun-Störungen und Krebskrankheiten vor. Für viele Seltene Erkrankungen sind die Ursachen noch nicht geklärt.
An welchen Beschwerden erkennt man eine Seltene Krankheit?
Seltene Erkrankungen können sich durch viele verschiedene Beschwerden bemerkbar machen. Es gibt keine spezifischen Symptome, die darauf hinweisen, dass es sich um eine Seltene Erkrankung handelt. Die meisten Seltenen Erkrankungen betreffen mehrere Körperregionen. Es kann aber auch vorkommen, dass nur ein einzelnes Organ betroffen ist.
Welche gemeinsamen Merkmale haben Seltene Erkrankungen?
Obwohl Seltene Erkrankungen sehr unterschiedlich sind, haben Sie auch einige Gemeinsamkeiten:
- Die meisten Seltenen Erkrankungen sind nicht heilbar und begleiten die Betroffenen ein Leben lang. Sie verschlimmern sich im Laufe der Zeit. Menschen mit Seltenen Erkrankungen haben oft eine kürzere Lebenserwartung als gesunde Menschen. Umso wichtiger ist es, diese Lebenszeit so angenehm wie möglich zu gestalten.
- Mehr als die Hälfte der Seltenen Erkrankungen beginnt in der Kindheit. Kinder und Jugendliche machen insgesamt mehr als die Hälfte aller Menschen mit einer Seltenen Erkrankung aus.
- Viele Seltene Erkrankungen bedeuten Einschränkung im Alltag und einen Verlust an Lebensqualität für die Erkrankten. Unter Umständen müssen diese Hilfe von Pflegekräften oder Angehörigen in Anspruch nehmen.
- Menschen mit Seltenen Erkrankungen und auch Angehörige fühlen sich oft seelisch belastet – nicht nur durch die Erkrankung selbst, sondern auch durch den Umgang mit anderen Menschen, Behörden und Versorgern. Nicht selten haben Sie mit Ausgrenzung, Stigmatisierung und Vorurteilen zu kämpfen.
- Für viele Seltene Erkrankungen gibt es noch keine Therapie. Meist ist es nur möglich, die Beschwerden zu behandeln.
- Der Weg zur Diagnose und Behandlung ist bei Seltenen Erkrankungen oft schwer und langwierig. Häufig bestehen noch keine geeigneten Versorgungseinrichtungen in Wohnortnähe.
Welche Herausforderungen stellen Seltene Erkrankungen?
Die Diagnose verarbeiten, Behandlungsempfehlungen befolgen, Lebensgewohnheiten verändern – jede Erkrankung bringt ihre eigenen Herausforderungen mit sich. Für Menschen mit Seltenen Erkrankungen können sich noch weitere Hürden ergeben.
-
Weg zur Diagnose
Die erste Hürde ist oft schon der Weg zur richtigen Diagnose. Aufgrund ihrer Seltenheit sind viele Seltene Erkrankungen auch unter Ärzten und Ärztinnen kaum bekannt. Dadurch vergehen oft Monate oder sogar Jahre, bevor ein Patient, eine Patientin endlich die richtige Diagnose erhält.
-
Lücken in der Versorgung
In Politik, Medizin und Wissenschaft haben Seltene Erkrankungen lange zu wenig Beachtung gefunden. Deshalb wurde wenig getan, um die Versorgung der betroffenen Menschen zu verbessern. Noch immer gibt es für die meisten Seltenen Erkrankungen keine wirksame Behandlung.
Viele Seltene Erkrankungen nehmen einen schweren Verlauf. Das bedeutet, dass Patienten und Patientinnen im Laufe ihres Lebens immer mehr Versorgung benötigen. Hier spielen spezialisierte Einrichtungen eine besondere Rolle, zum Beispiel Arztpraxen oder Kliniken, die sich mit bestimmten Seltenen Erkrankungen sehr gut auskennen. Sie können dazu beitragen, dass Patienten und Patientinnen besser mit der Erkrankung leben können und mehr Unterstützung im Alltag erhalten. Doch nicht überall in Deutschland bestehen Einrichtungen, die diese Menschen angemessen versorgen können.
-
Schwierigkeiten in der Forschung
Um die Diagnose und Behandlung von Seltenen Erkrankungen zu verbessern, werden wissenschaftliche Studien benötigt. Eine Studie nach wissenschaftlichen Grundsätzen aufzubauen ist bei Seltenen Erkrankungen jedoch nicht einfach. Das beginnt damit, dass es bei jeder Erkrankung nur wenige Betroffene gibt, die zudem noch über ganz Deutschland oder sogar Europa verteilt leben. Für eine einzelne Forschungsgruppe ist eine solche Studie daher meist zu aufwändig. Für forschende Unternehmen lohnt sich der Aufwand, den solche Studien mit sich bringen, in der Regel finanziell nicht. Daher ist es wichtig, dass sich mehrere Forschungseinrichtungen aus verschiedenen Städten und Ländern für solche Studien zusammenfinden.
-
Begleitung von Kindern und Jugendlichen
Ein großer Teil der Seltenen Erkrankungen beginnt bereits im Kindesalter. Manche Seltenen Erkrankungen können dazu führen, dass die Patienten und Patientinnen schon in jungen Jahren versterben. Eine weitere Herausforderung liegt im Übergang von der Kindermedizin zur Erwachsenenmedizin. Hier ist eine enge Abstimmung zwischen Kinderärzten, dem weiterbehandelnden Erwachsenen-Arzt, Eltern und den betroffenen Kindern wichtig, damit die Versorgung lückenlos weitergehen kann.
Anlaufstellen für Menschen mit Seltenen Erkrankungen
Verschiedene Anlaufstellen unterstützen Menschen mit Seltenen Erkrankungen und ihre Angehörigen auf dem Weg zur Diagnose und Behandlung:
-
Quellen
Bundesministerium für Bildung und Forschung. Seltene Erkrankungen: Ursachen und Therapien erforschen; 2022. Verfügbar unter: https://www.bmbf.de/bmbf/de/forschung/gesundheit/individualisierte-medizin/seltene-erkrankungen/seltene-erkrankungen.html [20.09.2022].
Bundesministerium für Gesundheit. Seltene Erkrankungen; 2022. Verfügbar unter: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/praevention/gesundheitsgefahren/seltene-erkrankungen.html [20.09.2022].
Conrad R, Mücke M. Seltene Erkrankungen – ein Überblick. In: Mücke M, Conrad R, Hrsg. Seltene Erkrankungen – Das Wichtigste für Ärztinnen und Ärzte aller Fachrichtungen. 1. Auflage. München: Elsevier; 2021. S. 1–12.
Deutsche Gesellschaft für Psychatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde, Deutsche Gesellschaft für Neurologie. S3-Leitlinie „Demenzen“; 2016. Verfügbar unter: https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/038-013l_S3-Demenzen-2016-07.pdf [20.12.2022].
Europäisches Parlament. Verordnung (EG) Nr. 141/2000 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1999 über Arzneimittel für seltene Leiden; 1999. Verfügbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02000R0141-20090807&from=NL [19.07.2022].
Ferreira CR. The burden of rare diseases. Am J Med Genet A 2019; 179(6):885–92. doi: 10.1002/ajmg.a.61124.
Global Genes. RARE Disease Facts; ohne Datum. Verfügbar unter: https://globalgenes.org/rare-disease-facts/ [16.09.2022].
Lorenz Grigull. Seltene Erkrankungen in der Kindheit und Jugend. In: Mücke M, Conrad R, Hrsg. Seltene Erkrankungen – Das Wichtigste für Ärztinnen und Ärzte aller Fachrichtungen. 1. Auflage. München: Elsevier; 2021. S. 81–7.
Guo J, Garratt A, Hill A. Worldwide rates of diagnosis and effective treatment for cystic fibrosis. J Cyst Fibros 2022; 21(3):456–62. doi: 10.1016/j.jcf.2022.01.009.
Lehmann E, Gadebusch Bondio M. Seltene Erkrankungen und Evidenz – eine ethische Herausforderung. In: Mücke M, Conrad R, Hrsg. Seltene Erkrankungen – Das Wichtigste für Ärztinnen und Ärzte aller Fachrichtungen. 1. Auflage. München: Elsevier; 2021. S. 13–23.
Nguengang Wakap S, Lambert DM, Olry A, Rodwell C, Gueydan C, Lanneau V et al. Estimating cumulative point prevalence of rare diseases: Analysis of the Orphanet database. Eur J Hum Genet 2020; 28(2):165–73. doi: 10.1038/s41431-019-0508-0.
Orphanet. Über seltene Krankheiten; 2021. Verfügbar unter: http://www.orpha.net/national/DE-DE/index/%C3%BCber-seltene-krankheiten/ [20.09.2022].
Pschyrembel. Klinisches Wörterbuch. 266. Aufl.: De Gruyter; 2014.
Richter T, Nestler-Parr S, Babela R, Khan ZM, Tesoro T, Molsen E et al. Rare disease terminology and definitions – a systematic global review: Report of the ISPOR Rare Disease Special Interest Group. Value Health 2015; 18(6):906–14. doi: 10.1016/j.jval.2015.05.008.
Statistisches Bundesamt. Einwohnerzahl in Berlin von 1960 bis 2021; 2022. Verfügbar unter: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/154880/umfrage/entwicklung-der-bevoelkerung-von-berlin-seit-1961/ [07.12.2022].
-
Aktualität der Informationen
Dieser Text wurde ursprünglich am 27. Januar 2023 erstellt und wird in regelmäßigen Abständen aktualisiert - zuletzt am 01. Februar 2024. Nächste geplante Aktualisierung: Februar 2025.
-
Hinweis: Diese Gesundheitsinformationen können das Gespräch mit dem Arzt oder der Ärztin nicht ersetzen.
Unsere Informationen beruhen auf den derzeit besten verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen. Sie stellen keine endgültige Bewertung dar.
Auch wenn Zahlen den Eindruck von Genauigkeit vermitteln, sind sie mit Unsicherheiten verbunden. Denn Zahlen aus wissenschaftlichen Untersuchungen sind fast immer nur Schätzwerte. Für den einzelnen Menschen lassen sich keine sicheren Vorhersagen treffen.
Unsere Informationen können Ihre gesundheitsbezogenen Entscheidungen unterstützen. Sie ersetzen aber kein persönliches Gespräch mit Ihrer Ärztin oder Ihrem Arzt.
-
Interessenkonflikte
Bei der Erstellung dieser Gesundheitsinformationen lagen keine Interessenkonflikte vor.
Diese Information wurde erstellt von: Pia Gamradt, Johanna Lindner, Jochen Randig, Lisa-Marie Ströhlein (alle Stiftung Gesundheitswissen)
Ihre Meinung ist uns wichtig.
Sie haben eine Anmerkung oder einen neuen Themenvorschlag? Sehr gern.
Wir freuen uns über jede Rückmeldung. Bitte beachten Sie aber, dass wir keine individuelle medizinische oder rechtliche Beratung leisten können. Ihre Bewertungen und Kommentare werden von uns ausgewertet, aber nicht veröffentlicht. Ihre Angaben behandeln wir vertraulich. Pflichtfelder sind mit einem Sternchen (*) markiert.