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Seltene Erkrankungen codieren: Was ist zu beachten?

Ein Überweisungsschein

© istock.com/deepblue4you

Berlin, 07.02.2024 – In der ICD-Klassifikation sind Seltene Erkrankungen nicht oder nur unspezifisch abgebildet. Das führt nicht nur zu Problemen in der Kommunikation mit Krankenversicherern und anderen Behandlern. Es führt auch dazu, dass Menschen mit Seltenen Erkrankungen im Gesundheitssystem nicht eindeutig abgebildet werden. Erfahren Sie hier, welche präziseren Codierungsmöglichkeiten es gibt.

Welche Herausforderungen gibt es bei der Codierung von Seltenen Erkrankungen?

Die ICD-Klassifikation ist ein wichtiges Werkzeug im deutschen Gesundheitssystem, um Diagnosen einheitlich zu kommunizieren. Jedoch erlaubt sie nur für wenige Seltene Erkrankungen (SE) eine eindeutige Identifikation. Die meisten SE werden in der ICD-10-GM gemeinsam mit weiteren, meist häufigen Erkrankungen verschlüsselt, sodass anhand des ICD-10-Codes nicht auf die SE geschlossen werden kann. Im Jahr 2015 waren etwas mehr als 500 der knapp 7.000 SE in der ICD-10-Codierung mit einem präzisen Diagnoseschlüssel belegt. Bei dieser Berechnung ist zu berücksichtigen, dass einzelnen SE, etwa der Zystischen Fibrose, mehrere ICD-10-Codes zugeordnet sind (siehe Tabelle 1). Die tatsächliche Anzahl von SE mit einem exklusiven ICD-10-Code lag daher 2015 deutlich niedriger.

Tabelle mit Beispielen für ICD-10-Codes
Tabelle 1: ICD-10-Codes für unterschiedliche Ausprägungen der Zystischen Fibrose

Mit der aktuellen ICD-10-Kodierung sind Menschen mit SE oft nicht als solche zu erkennen. Die von Leistungserbringern an die Krankenkassen übermittelten Informationen können SE also nur unzulänglich abbilden. Dies hat wiederum zur Folge, dass Aussagen weder zur Häufigkeit der Erkrankung noch zum speziellen Versorgungs- und Finanzierungsbedarf zu treffen sind. Ohne diese Informationen ist es auch für Betroffene schwer zu erkennen, welche Institutionen verstärkt eine bestimmte Erkrankung behandeln und eine entsprechende Expertise besitzen. Zusätzlich sind genaue Informationen zu Diagnosen von Seltenen Erkrankungen wichtig für Forschungsfragen, z. B. in der klinischen oder Versorgungsforschung.

Die im Jahr 2015 veröffentliche Beta-Version der ICD-11-Codierung enthielt bereits 5.400 der damals 6.954 bei Orphanet gelisteten SE. Jedoch wurde die ICD-11 erst im Jahr 2019 verabschiedet und trat im Januar 2022 mit einer Übergangsfrist von fünf Jahren in Kraft. Ein konkreter Zeitpunkt ihrer Einführung in Deutschland steht noch nicht fest und wird aufgrund der hohen Integration der ICD-10-GM im deutschen Gesundheitswesen und der damit verbundenen Komplexität voraussichtlich noch mehrere Jahre in Anspruch nehmen.

Welche Alternativen gibt es zur ICD-Codierung?

Durch die absehbare zeitliche Verzögerung der ICD-11 empfahl bereits 2014 die „European Commission Expert Group on Rare Diseases“ die zusätzliche Verwendung von ORPHAcodes neben den ICD-10-Codes, um SE eindeutig zu codieren.

In Deutschland hat das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) die Empfehlung zur doppelten Kodierung von SE in Form der Alpha-ID-SE umgesetzt. Die Alpha-ID-SE wird seit 2021 standardmäßig jährlich neu herausgegeben. Seit 2023 ist die Verwendung der Alpha-ID-SE im stationären Bereich verpflichtend.

ORPHAcodes

Da sich die Diagnosebezeichnungen für SE in der ICD-10-GM nicht ausreichend widergespiegelt haben, wurde 2014 eine Maßnahme verabschiedet, die zusätzlich zu den ICD-10-Codes die Verwendung von ORPHAcodes für SE empfahl. Dabei handelt es sich um eine Nomenklatur für Seltene Erkrankungen, die vom internationalen Netzwerk für SE, Orphanet, entwickelt wurde: ein mehrsprachiges standardisiertes System, das eine spezifische Terminologie für SE bietet. Dabei wird jeder klinischen Entität ein eindeutiger und zeitlich stabiler ORPHACode zugewiesen, um den herum die übrigen Daten aus der Orphanet-Datenbank strukturiert werden. Die Orphanet-Nomenklatur bietet eine gemeinsame Sprache für alle Gesundheits- und Forschungssysteme und dient so der wirksamen Erfassung und Berichterstattung von SE.

Tabelle mit Beispielen für ORPHAcodes
Tabelle 2: ORPHAcodes der Seltenen Erkrankungen, die mit dem ICD-10-Code für „Sonstige näher bezeichnete hereditäre hämolytische Anämien, inklusive Stomatozytose“ kodiert sind.

Die Orphanet-Nomenklatur verweist außerdem auf andere internationale Terminologien und Referenz-Datenbanken (z. B. OMIM, ICD-10, SNOMED-CT, MedDRA, UMLS, MeSh, GARD), um einen Austausch zwischen den unterschiedlichen Informationssystemen zu ermöglichen.

Hier finden Sie weitere Informationen zur Orpha-Nomenklatur der Seltenen Erkrankungen.

Alpha-ID-SE: Verknüpfung von ICD- und ORPHAcodes

Die Alpha-ID (Alpha-Identifikator) ist eine Identifikationsnummer, die auf dem alphabetischen Verzeichnis zur ICD-10-GM basiert und jedem der Einträge zugeordnet ist. Die Alpha-ID ermöglicht so die Codierung einer medizinischen und alltagssprachlichen Diagnosebezeichnung. Dadurch hilft die Alpha-ID den Verlust an Detailinformationen auszugleichen, der beispielsweise bei der ICD-10-Codierung auftritt. Durch die Alpha-ID hingegen sind alle Synonyme und jede Krankheitsbezeichnung aus dem alphabetischen Verzeichnis als einzelne Bezeichnungen codiert. Das Beispiel in Tabelle 3 zeigt, dass es für einen einzelnen ICD-10-GM-Code zahlreiche Alpha-ID gibt, welche die Einträge im alphabetischen System kennzeichnen.

Beispiele ICD-10-GM-Codes
Tabelle 3: ICD-10-GM, systematisches und alphabetisches Verzeichnis

Die Alpha-ID-SE ist eine erweiterte Variante der Alpha-ID. Neben den ICD-10-GM-Codes enthält sie zusätzlich entsprechende ORPHAcodes. Die Version 2022 der Alpha-ID-SE enthält mehr als 85.000 Diagnosebezeichnungen von Krankheiten sowie 5.796 spezifische ORPHAcodes, die eine parallele Codierung von SE ermöglichen. Zusätzlich zu den Änderungen im systematischen Verzeichnis der ICD-10-GM wurden viele neue Diagnosebezeichnungen speziell für SE aufgenommen. Durch die Verknüpfung von Alpha-ID, Erkrankungsbegriff, ICD-10-GM-Code und ORPHAcode sind in einem Schritt alle notwendigen Informationen zur Codierung von SE verfügbar.

Hier erhalten Sie weitere Informationen zur Alpha-ID-SE.

Fazit

Für Behandelnde von Menschen mit SE ist es sinnvoll, außer dem ICD-10-GM-Code auch die Alpha-ID-SE und den entsprechenden ORPHACode zu kennen und diesen dem Patienten, der Patientin bei Bedarf auszuhändigen.

Die meisten Patientinnen und Patienten mit SE werden ambulant versorgt. In diesem Bereich ist die Nutzung der Alpha-ID-SE bisher nicht verpflichtend. Die Prävalenz von SE und die Versorgungssituation betroffener Menschen lässt sich also bis jetzt nicht umfänglich abbilden. Um die Finanzierungs- und Versorgungsbedarfe im Zusammenhang mit SE besser zu erfassen, wäre zukünftig auch im ambulanten Bereich eine Codierung anhand der Alpha-ID-SE hilfreich.

Diese Information wurde erstellt von: Pia Gamradt, Johanna Lindner, Jochen Randig, Lisa-Marie Ströhlein (alle Stiftung Gesundheitswissen)